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Gegen den Rückfall in Barbarei

von Michael Bartsch

Die Bedeutung europäischer Metropolen als Keimzelle gesellschaftlicher Entwicklungen steht im Mittelpunkt eines Europäischen Kongresses für ein Weltkulturforum in Dresden. Vom 26. Februar bis 1. März 2009 werden dazu rund 500 internationale Gäste und Experten aus Kunst, Politik, Religion, Wirtschaft und Wissenschaft erwartet. Ziel ist es, von verschiedenen Kulturen zu lernen und zum Erhalt kultureller Vielfalt beizutragen.

Das Gründungsymposium für ein Dresdner World Culture Forum Ende November 2007 war keine Totgeburt. Damals wegen des ambitionierten Größenwahns teilweise belächelt, wird es eine Fortsetzung in der Landeshauptstadt finden. Es ging und geht den Initiatoren um nicht weniger als um die Bedrohung menschlicher Kultur durch einen globalen Ökonomismus. Einer von ihnen, der ehemalige Operndirektor an der Sächsischen Staatsoper Dresden und jetzige Bremer Generalintendant Hans-Joachim Frey, legte bei der Präsentation des Programms in der Glashütter Uhrenmanufaktur die Latte allerdings etwas tiefer. Er spricht von einem Versuch, einer Vision, anlog zum Weltwirtschaftsgipfel im Schweizer Gebirgsort Davos einen weltweiten Kulturgipfel ausgerechnet in Dresden zu organisieren.

Dieser Versuch hat angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Frey gar als "Riesenchance" für sein Thema bezeichnet, eine neue Dringlichkeit erhalten. Die Fragestellungen und analytischen Beiträge des Gründungssymposiums nahmen sie 2007 als Sinn- und Kulturkrise schon vorweg. Jetzt klingt manches sogar aus dem Mund des Biedenkopf-Freundes Meinhard Miegel vom "Denkwerk Zukunft" noch grüner und noch linker. Die Finanzkrise hätte bei "gelebter Kultur", also bei einer Rückbindung des Kapitals an ethische und kulturelle Werte, "gar nicht passieren können", so Miegel. Über die Postulate aller politischen Parteien geht er aber hinaus, wenn er ihnen summa die "Obsession des Wachstums" unterstellt. Die gegenwärtige Krise führe drastisch vor Augen, dass es so nicht weitergehe.

Eine weitere Zentralfigur des kommenden Forums wie schon des Gründungssymposiums ist neben Miegel der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher aus Ulm. Als Mitglied des Club of Rome befasst auch er sich mit Schrumpfungsprozessen und der zwingend notwendigen Abkehr vom Wachstumsglauben. Statt dessen sollten wir "den Frieden mit dem Biotop finden, in dem wir leben" sagt er. Und lässt alle, die daran zweifeln, dass der real existierende Kapitalismus die von ihm selbst gerufenen Geister maßlosen Anspruchsdenkens wieder loswerden könnte, mit einer provokanten These aufhorchen: "Unbegrenztes Wachstum liegt nicht in der Logik des ökonomischen Systems." Der Markt der Zukunft werde kein freier, sondern ein öko-sozial eingehegter sein.

Eine ernstzunehmende Sorge treibt die aus saturierten Kreisen stammenden, aber empathiefähigen Veranstalter um. Ressourcenknappheit, Peak of Oil, gegenläufige demographische Entwicklungen in den Weltregionen, wachsende soziale Kontraste und Spannungen und eine Verrohung des ökonomischen Wettbewerbs lassen eher globale Verteilungskämpfe als ausgleichende Lösungen erwarten. Diesem drohenden Rückfall in eine neue Barbarei, so räumt Miegel ein, möchte er mit einer Art kollektiver Rekultivierung begegnen. Entsprechende Einsichten, so hofft er, könnten auch durch die aktuelle Krise wachsen, obschon er im Podium eher die realistische Ansicht vertrat, wir würden wiederum nur "den nächsten großen Schaden und die nächste spekulative Blase aufbauen".

Nüchtern beobachtend müssten Ostdeutsche skeptisch reagieren angesichts des anerkennenswerten missionarischen Eifers eines World Culture Forums. Schon zu Beginn seiner Amtszeit als sächsischer Ministerpräsident predigte Kurt Biedenkopf Ähnliches. Wenn schon der westdeutsche Wohlstand nicht schnell zu erreichen sei, sollten sich die ehemaligen DDR-Bürger doch auf ihre kulturellen Identitäten und ihre ideellen Werte und Fähigkeiten besinnen.

Dieses Ansinnen einer Rückkehr zur "Kultur als Letztreferenz", wie es Radermacher formuliert, ist in den 18 Jahren seither gescheitert. Die Verlierer im Prekariat und in den bildungsfernen Schichten haben keine alternativen materiell bescheidenen, aber kulturell anspruchsvollen Lebensformen ausgebildet. Man kann von ihnen nicht verlangen, dass sie sich so verhalten, wie es Miegel in ein treffendes Bild fasste: "Das Schnitzel auf dem Teller wird kleiner werden, aber wir müssen lernen, es genussvoller zu verzehren". Diese Menschen wird, so viel darf man jetzt schon sagen, auch das nach wie vor elitär angelegte Weltkulturforum nicht erreichen.

Damit ist aber das Programm nicht entwertet, dem sich 500 bis 700 Teilnehmer im kommenden Frühjahr stellen wollen. Ein Kongress, der sich im Sinne des vorsichtiger gewordenen Hans-Joachim Frey erst einmal im europäischen Rahmen bewegen wird. Die europäische Stadt dient dabei als Folie, weil sich in Fragen der Urbanität die bekannten Weltkonflikte spiegeln oder fokussieren. In den Städten wird die balancierende und ausgleichende Funktion von Kultur augenfällig.

Beachtenswert erscheint ein "Junges Forum", bei dem Jugendliche aus ganz Europa ihre Visionen präsentieren können und für das schon 80 Anmeldungen vorliegen. Veranstaltungspartner in Dresden werden die Gläserne VW-Manufaktur und das Deutsche Hygienemuseum sein. Der Publizist Michel Friedman wird moderieren, der Bundespräsident den Kongress eröffnen. Auf Prominenz wird es weniger ankommen, als auf die Frage, ob einiges vom anspruchsvoll Diskutierten zum Allgemeingut werden kann.

Leipziger Volkszeitung, 24. Dezember 2008